Checkliste für die Auswahl der geeigneten
Klinik bei Hüftoperationen
(Hüft-Totalendoprothese HTEP)
von Burkhard Treude, Dortmund
Lassen Sie sich nicht abspeisen mit den Worten „Ne neue Hüfte ist mittlerweile Standard.“ Neue Hüften werden zwar tausendfach (pro Jahr in Deutschland ca. 200.000 bei steigender Tendenz) eingesetzt, aber keineswegs immer mit befriedigendem Ergebnis. Und das kann manchmal damit zu tun haben, sich vorher nicht gründlich genug umgehört zu haben und die für das individuelle Problem falsche Klinik ausgewählt zu haben. Vor allem die Thematik der geeigneten Endoprothese ist - zumindest aus der Sicht des betroffenen Patienten - wesentlich komplexer und komplizierter, als man im ersten Moment denken mag.
Ich (*1946) kann logischerweise nur meine ganz persönliche Vorgehensweise mitteilen, die dazu beigetragen hat, dass ich mit meinem neuen „Fahrgestell“ (eingebaut Juni 2002) ziemlich zufrieden bin. Ein Teil der folgenden Hinweise ist - das muss man ehrlich sagen - naturgemäß einfacher in die Praxis umzusetzen, wenn Sie privat versichert sind, also die freie Auswahl an Ärzten haben.
Bitte erwarten Sie keine individuelle Beratung von mir. Die Checkliste soll Sie nur besser vorbereiten, um Ihre eigene Entscheidung, in welcher Klinik Sie sich operieren lassen wollen, abzusichern.
Check-Points:
Handelt es sich bei Ihnen um natürlichen Altersverschleiß der Hüfte (Arthrose) bei gut ausgeprägter Pfanne - und sind Sie über 70 Jahre alt? In diesen Fällen wird häufig eine so genannte „zementierte“ Hüftendoprothese mit Presspfanne verwendet. Oder besteht bei Ihnen eine Hüftdysplasie (meist schon von Kindheit an) mit schlecht ausgeprägter Hüftpfanne? In diesem Falle ist die Sache komplizierter, weil ein geeigneter Ort für den Einbau einer neuen Pfanne gefunden werden muss. Bei jüngeren Patienten wird der Prothesenschaft meist zementfrei eingebaut.
Vorteil der zementierten Hüfte: Der verwendete Knochenzement (ein sehr schnell aushärtender Kunststoff) ist sofort belastbar. Für ältere Menschen und Personen mit gering ausgeprägter Disziplin, was das Vermeiden einer ganzen Reihe von Bewegungsabläufen anbelangt, möglicherweise besser als eine zementfreie Endoprothese geeignet. Nachteil: Erneute OP wird schwieriger, weil der alte Knochenzement entfernt werden muss.
Vorteil der zementfreien Hüfte: Hält möglicherweise länger. Kann vermutlich auch besser ersetzt werden, falls nötig. Nachteil: Kann nicht sofort voll belastet werden, also längerer Klinikaufenthalt nötig (ca. 3 Wochen, wenn alles gut läuft) und auch anschließend längere Teilbelastung (ca. 12 Wochen). Mittlerweile gibt es allerdings auch Kliniken, die sofort Vollbelastung empfehlen. Es scheint sich hier um eine „Philosophie“-Frage zu handeln; was wirklich besser ist, wird sich erst nach vielen Jahren herausstellen.
Wichtig scheint die Wahl des geeigneten Implantats und dessen Materials zu sein, weil das Auswirkungen auf den Abrieb hat, der wiederum zu Schädigungen des Knochens führen kann. Zur Zeit scheint die Kombination Keramik-Hüftkopf und Keramik-Pfannen-Inlay (die äußere Schale der eingepressten bzw. eingeschraubten Pfanne ist aus Titan) das Optimum zu sein. Vorteil: So gut wie kein Abrieb. Nachteil: Kann bei unglücklichem Sturz brechen. Zweitbeste Lösung ist wohl die Kombination eines Kopfs aus Keramik mit einem Inlay aus hochfestem Kunststoff (Polyethylen). Nachteil: Etwas Abrieb.
Lassen Sie sich nicht vom „ersten Besten“ operieren, nur weil er Ihnen von irgend jemandem empfohlen worden ist. Was für andere gut ist, muss nicht unbedingt auch für Sie gut sein. Oft hören Sie den Satz: „Der soll nen guten Ruf haben!“ Informieren Sie sich genauer. Wer hat sich dort operieren lassen - und wie schaut die Sache nach einem oder zwei Jahren aus? Mit Operationserfahrungen verhält es sich wie mit dem Roulette-Spiel: Wenn jemand gewonnen hat, posaunt er das überall herum. Haben Sie auch schon mal gehört, dass jemand ohne weiteres offenbart, dass er eine große Summe am Spieltisch verloren hat?
Konsultieren Sie drei verschiedene Kliniken, die Ihnen von Ihrem behandelnden Orthopäden - oder von „Betroffenen-Experten“ - empfohlen worden sind. Bilden Sie sich erst zum Schluss Ihr Urteil.
Informieren Sie sich unbedingt darüber, ob in der Klinik ein spezielles Programm gegen die Verbreitung des Krankenhaus-Erregers MRSA durchgeführt wird. So etwas gibt es meines Wissens systematisch bislang nur in einem Euregio-Projekt im Münsterland. Siehe auch Berichterstattung in den Medien, zB. SWR.
Viele Chirurgen sind Alleskönner. Heute eine Schilddrüse, morgen eine Hüfte. Gehen Sie zu ORTHOPÄDEN! Die kennen sich mit dem Gesamtsystem Ihres Knochenaufbaus meist besser aus. (Natürlich gibt es auch Spitzen-Chirurgen mit der entsprechenden Erfahrung)
Achten Sie darauf, wie gründlich Sie untersucht und befragt werden.
Fragen Sie nach, wie viele Hüftendoprothesen an dieser Klinik im Jahr eingebaut werden. Nichts ist schlimmer, als das Versuchsobjekt von Anfängern zu werden.
Konsultieren Sie die Website der Klinik. Meist finden Sie dort bereits Informationen darüber, ob Hüft-OPs zu deren Spezialgebieten gehören.
Fragen Sie sich selbst: Was genau will ich von meiner neuen Hüfte haben? Welche Aktivitäten will ich ausüben können? Reden Sie offen mit Ihrem Arzt darüber, damit er genau weiß, was Sie wollen und Sie anschließend nicht enttäuscht sind.
Seien Sie skeptisch, wenn jemand - nur nach Vorlage des Röntgenbilds - („aus der Hüfte heraus“, sozusagen) sofort die einzig richtige Lösung parat hat. Merke: „Wer nur einen Hammer besitzt, für den ist jedes Problem ein Nagel“ (Abraham Maslow)
Seien Sie äußerst vorsichtig, wenn jemand Ihnen etwas vom „Roboter“ vorschwärmt. Diese Geräte sind für teueres Geld angeschafft worden und müssen sich natürlich amortisieren. Es kann aber sein, dass Ihnen damit unnötig viel Muskelgewebe weggefressen wird und die OP länger dauert. Ein erfahrener orthopädischer Chirurg ist meistens besser als ein „dummer“ Roboter.
Werden Sie hellhörig, wenn Ihnen ein Infrarot-Navigiersystem angepriesen wird. Vermutlich werden Sie am Vortag der OP bereits zum ersten Mal operiert, um Ihnen die zur Orientierung notwendigen „Pins“ zu setzen.
Fragen Sie unbedingt danach, ob Ihr Bein anschließend länger oder kürzer sein wird.
Wenn Sie sich vom Chefarzt behandeln lassen: achten Sie darauf, wie dieser mit seinen Oberärzten kommuniziert. Ist das jemand, der sich im Zweifel berät und mit seinem Oberarzt gemeinsam nach der besten Lösung für Sie sucht? Oder stehen die unteren Chargen alle stramm und sagen nichts, auch wenn sie den Eindruck haben, dass etwas schief läuft oder besser anders gemacht würde. (Diese Information ist sehr schwer zu beschaffen. Schärfen Sie Ihre Beobachtung für verbale und nonverbale Signale. Wenn Sie eine Chance dazu haben, sprechen Sie mit den Physiotherapeuten, die nach der OP Ihren Rekonvaleszenzprozess unterstützen.)
Achten Sie auf Signale, ob der Arzt während der OP flexibel genug ist, eine getroffene Vorentscheidung über das zu verwendende Implantat zu revidieren. Stellen Sie dazu ruhig gezielte Fragen. Ein Computer-Tomogramm und erst recht eine normale Röntgenaufnahme bieten nur Annäherungen an die Wirklichkeit, die Ihr Operateur erst dann wirklich 100%ig sieht, wenn er Ihre Hüfte freigelegt hat.
Bereiten Sie sich auf jedes Interview mit Ihrem potenziellen orthopädischen Chirurgen gut vor. Nehmen Sie eine Checkliste mit Ihren Fragen mit. Sonst haben Sie nachher vergessen, was Sie eigentlich fragen wollten.
Suchen Sie sich eine Klinik mit Bewegungsbad (ist aus Kostengründen leider vielerorts abgeschafft worden), in dem Sie schon wenige Tage nach Ihrer OP ohne Schonhaltung üben können, Ihr Bein wieder natürlich zu bewegen. Kann den Heilungsprozess schon vor der Anschlussheilbehandlung (Reha) erheblich beschleunigen.
Spenden Sie Eigenblut (ca. 4 - 2 Wochen vor der OP). Ist mittlerweile Standard.
Versuchen Sie, möglichst nah an Ihr Idealgewicht heranzukommen, bevor Sie sich operieren lassen. Je weniger Gewicht Ihre Hüfte tragen muss, um so leichter wird sie es nach der OP haben, problemlos ein Teil von Ihnen zu werden.
Falls Sie dazu in der Lage sind, versuchen Sie, Ihr schwaches Bein vor der OP intensiver als sonst zu trainieren (Radfahren, gymnastische Übungen). So fällt Ihnen nach der OP das Üben leichter. Je besser die Beweglichkeit vor der OP, desto schneller die Erholung nachher.
Trainieren Sie möglichst lange vor Ihrer OP, auf dem Rücken liegend einzuschlafen. Nach der OP werden Sie wissen, warum!
Beginnen Sie 4 Wochen vor Ihrer OP mit der Einnahme von Traumeel (250 Tabletten, 8x täglich eine Tablette). Mit diesem homöopathischen Präparat unterstützen Sie Ihre Körperabwehr bei der Wundheilung. Sagen Sie Ihrem Chirurgen aber nichts davon. Als Schulmediziner hält er das möglicherweise für Quatsch.
Falls Sie zeitlich flexibel sind und gut vorausplanen können: Ein OP-Termin im Sommer heißt Kompressionsstrümpfe tragen (wegen der Thrombose-Gefahr) bei 30 Grad im Schatten. OP im Frühjahr erspart einem diese Tortur. Außerdem hat man dann die Reha hinter sich und kann den Sommer wieder voll genießen.
Am Abend vor der OP gibt es nur noch zwei Dinge für Sie zu tun:
1.
Wünschen Sie Ihrem operierenden Arzt eine gute Nacht!
(Lassen Sie sich nicht am Montag operieren. Oder wollen Sie eine Montags-Hüfte?)
2. Lassen Sie los - und beten Sie darum, dass alle ihr Bestes geben. Mehr konnten Sie nicht für sich tun. Jetzt heißt es, Vertrauen zu haben, dass alles glatt läuft.
Welche Klinik für Sie die Richtige ist, hängt möglicherweise auch mit dem Wohlfühl-Effekt sowie der räumlichen Nähe zu Ihrem Wohnort zusammen.
Bestimmt werden Sie in Ihrer Nähe jemanden finden, der Ihren Kriterien entspricht.
P.S.
Nach der OP fühlt man sich erst mal ziemlich hilflos. Aber schon nach kurzer
Zeit, wenn die Wund-Schmerzen nicht mehr da sind, neigt man dazu, sich zu viel
zuzutrauen. Das künstliche Gelenk als solches schmerzt ja nicht und sendet
deshalb auch keine Warn-Signale. Die beiden häufigsten Komplikationen
entstehen durch falsches Verhalten nach der OP:
1. Aushebeln des Hüftkopfs aus der Pfanne (Luxieren) durch falsche Bewegung
(Bücken, Beine übereinander schlagen etc.) Wenn das Ding rausgesprungen ist
(soll grässlich weh tun), muss meist alles wieder aufgemacht werden.
2. Lockerung der zementfreien Hüfte durch Drehbewegungen und ruckartige
Belastung. Das hat natürlich noch unangenehmere Folgen.
Eine weitere Konsequenz der eingebauten Endoprothese: Kernspin-Aufnahmen anderer Körperteile können wegen der möglichen elektromagnetischen Aufladung der Prothese in vielen Fällen nicht mehr gemacht werden. An der Orthopädischen Klinik Kassel (Tel. 0561 - 30840) zum Beispiel steht allerdings seit einiger Zeit ein so genanntes "Niederfeld"-MRT, mit dem man alle Körperteile trotz Hüftendoprothese untersuchen lassen kann. Es hat darüber hinaus noch den Vorteil, dass es ein offenes Gerät ist und somit auch für Patienten mit Klaustrophobie geeignet ist. Ein ähnliches Gerät steht wohl auch in Hamburg. Ambulante Untersuchungen werden aber leider nur bei Privat-Patienten oder mit spezieller Genehmigung der Kasse durchgeführt.
Nachtrag Mai 2014, zwölf Jahre nach meiner Operation:
Ich habe immer noch muskuläre Probleme im operierten Bein. Das liegt zum einen vermutlich daran, dass das Bein vorher ca. 3,5 cm kürzer und im Umfang etwa 6 cm dünner war als das andere. Möglicherweise sind bei der OP damals auch Muskeln durchtrennt worden, deren Funktion nicht wieder richtig hergestellt werden konnte. Schmerzen in der operierten Hüfte habe ich glücklicherweise nach wie vor nicht. Nur die andere Hüfte fängt an zu zicken, wenn ich längere Zeit gewandert bin. Ich werde allerdings eine OP so lange wie möglich hinaus zu schieben versuchen.
Wenn ich es noch einmal zu entscheiden hätte, würde ich folgendes anders machen: Die Anschluss-Rehabilitation in der Klinik würde ich nur noch maximal drei Wochen machen (bei mir waren es fünf), denn in den Kliniken wird bei weitem nicht so intensiv mit dem Individuum gearbeitet wie in einer guten, spezialisierten physiotherapeutischen Praxis. Das wird jetzt sicherlich den Widerspruch vieler Reha-Klinik-Leute hervorrufen; ich habe aber Geschichten von zu lascher Behandlung und zu wenig forderndem Training von mehreren Personen gehört, die in unterschiedlichen Kliniken zur Anschlussheilbehandlung waren.
Also: Erkundigen Sie sich vorher nach wirklich guten Physiotherapeuten, die Ihnen im Anschluss an die OP zur Seite stehen, falls Sie (so wie ich) nicht genügend Biss haben, sich ganz allein zu quälen.
Übrigens: Die Hüfte als solche ist tipp-topp, keine Schmerzen, ich kann wieder problemlos einen ganzen Tag lang stehen; nur das Gehen ist wegen der immer noch nicht optimalen Muskelkraft im operierten Bein nicht ganz perfekt - vor allem dann, wenn ich fünf oder sechs Stunden lang Auto gefahren bin und ansonsten nur am Schreibtisch gesessen habe (wie leider so oft). Häufiges Spazierengehen, Schwimmen, Fahrradfahren und Treppensteigen verbessern die Lage allerdings erheblich.
Bitte bedenken Sie, dass meine Ausgangslage die eines Menschen mit angeborener Hüft-Dysplasie war. Für Patienten mit "ganz normaler" Arthrose sind meine Ausführungen vermutlich irrelevant.
Nach wie vor scheint Stand der Technik zu sein, dass die Hüftendoprothesen ca. 15 - 20 Jahre lang halten. Wenn Sie noch 40 Jahre leben wollen, macht es naturgemäß Sinn, sich mit neuen Entwicklungen zu beschäftigen: Druckscheiben-Prothesen, Kurzschaftprothesen, Hüftkappen nach McMinn für jüngere Patienten, auswechselbare Köpfe, kleinere Prothesenmaße, die minimal invasive Operationen ermöglichen und dadurch weniger Blutverlust und weniger Muskeldurchtrennungen bedeuten. Allerdings haben alle neuen Technologien einen gravierenden Nachteil: es fehlt den Operateuren an Langzeiterfahrung. Wie sich neue Materialien und Verfahren tatsächlich verhalten, wird man erst in 15 oder 20 Jahren wissen. Lassen Sie sich also nicht von Versprechungen blenden, für die in Wirklichkeit niemand eine Garantie geben kann. Nichts ist besser als eine Endoprothese, mit der über viele Jahre hinweg gute Ergebnisse erzielt worden sind.
Als gesetzlich Versicherter sollten Sie immer daran denken, dass Ihr Krankenhaus für Ihre Hüft-OP eine Fallpauschale in Höhe von knapp € 7.000,- bekommt. Das ist im Vergleich zu vielen anderen OPs eine Menge Geld. Da könnte es sein, dass Ihnen zu einer OP geraten wird, obwohl diese noch gar nicht nötig ist.
Und ob Sie mit einer neuen Hüfte wirklich Marathon laufen oder andere extrem belastende Sportarten ausführen müssen, sollten Sie mit gesundem Menschenverstand überprüfen.
Haben Sie bitte Verständnis
dafür, dass ich als Nicht-Mediziner keine individuellen Ratschläge geben
kann.
Auch Klinik-Empfehlungen habe ich nicht parat.
Ich bin voll berufstätig und stehe deshalb weder für telefonische, noch für E-Mail-Auskünfte zur Verfügung. Sorry.
Mai 2014