Vom Script zur EVA:
Fanita Englishs Fortentwicklung
der Transaktions-Analyse

von Burkhard Treude

Die Existentielle Verhaltensmuster-Analyse (EVA) ist nur ein Beispiel für die Neuerungen, die von der Kosmopolitin Fanita English in die Transaktions-Analyse (TA) eingeführt worden sind.

Einige der im folgenden dargestellten Gedanken Fanita Englishs mögen dem bereits mit den Grundzügen der TA vertrauten Leser Anlass geben, bislang als gültig erachtete Konzepte zu überdenken. Naturgemäß können hier nur wenige Aspekte dargestellt werden, manch andere werden ausführlich in Englishs Aufsatzsammlung „Transaktionsanalyse - Gefühle und Ersatzgefühle in Beziehungen“ (Hamburg 1980) abgehandelt.

Gefühlsausbeuter-Typen fallen manchmal aus der Rolle

Für die Kopplung der TA mit führungspsychologischen Ansätzen ist die Theorie der zwei Persönlichkeits-Typen von besonderer Bedeutung. Nach Fanita Englishs klinischen Erfahrungen lassen sich Menschen mit Beziehungsstörungen in zwei Gruppen einteilen: in solche, die zwischen zwei und vier Jahren ihre Streicheleinheiten nur durch dominantes Verhalten bekommen haben und solche, die in diesem Alter durch unterwürfiges, angepasstes Verhalten zu ihren Streicheleinheiten gekommen sind. Beiden Typen ist gemeinsam, dass sie sich heute so verhalten, als ob sie ständig zu wenig Streicheleinheiten bekämen.

Der Ausbeuter-Typ 1 ist hilflos, motzend. Er lädt andere dazu ein, auf ihn fürsorglich oder kritisch zu reagieren. Er verhält sich also aus dem Kindheits-Ich und der Position „Ich bin nicht o. k. - Du bist o. k.“ heraus.

Der Ausbeuter-Typ 2 ist hilfreich oder befehlerisch. Er sorgt dafür, dass andere auf ihn dankbar oder rebellisch reagieren. Er verhält sich also aus dem Eltern-Ich und der Position „Ich bin o. k. - Du bist nicht o. k.“ heraus. Oft leben zwei solche entgegengesetzte Typen in einer Symbiose zusammen

Aber auch „normale“ Menschen sind ihrer Tendenz nach in zwei solche Typen-Gruppen einzuteilen, wobei es sich oft nur um 60:40-Entscheidungen handelt:

Da die Typ-Entwicklung unabhängig von der Entwicklung der Intelligenz und der beruflichen Fähigkeiten ist und sich zeitlich vor der Festlegung der diversen Rollen abspielt, ergibt sich das Dilemma, dass sich auch intelligentere und qualifiziertere Typ-l-Personen von fachlich schwächeren Typ-2-Führern leiten lassen.

Das Peter-Prinzip, nach dem jeder Mensch irgendwann einmal die Stufe seiner beruflichen Inkompetenz er reicht, muss also dahingehend relativiert werden, dass dies nur dann geschieht, wenn er eine zu seinem Typ in Opposition stehende Rolle einnimmt, wenn etwa ein Typ 1 in eine Führungs-Position gedrängt wird oder wenn ein Typ 2 dienende Tätigkeiten ausüben soll. Probleme gibt es natürlich auch dann, wenn ein Typ 2 zwar aufgrund seiner Ellenbogen in eine Führungsposition geklettert ist, aber fachlich unterqualifiziert ist.

Ein Auseinanderklaffen von Berufsrolle und Typ kann also erhebliche Schwierigkeiten sowohl für die Organisation als auch für den einzelnen mit sich bringen. Organisch angelegte Personal- und Organisations-Entwicklungs-Maßnahmen können hier Abhilfe schaffen.

 

Fanita English. Photo: B. Treude 1981

Ich bin o. k. - Du bist o. k., aber realistisch, bitte!

Eine idealistisch überzogene Veränderung der eigenen Einstellung hin zu der Position „Ich bin o. k. - Du bist o. k.“ führt oft dazu, dass die Frustrationen, die daraus erfolgen, einen Rückfall in die Abwehr-Position „Ich bin nicht o. k. - Du bist nicht o. k.“ bewirken. Denn die Veränderung der eigenen Einstellung und Verhaltensweisen hat nicht automatisch eine Veränderung der Umwelt zur Folge.

Die günstigste Einstellung, die wir erreichen können, ist Fanita English zufolge jene, die sie die „fünfte Grundeinstellung“ nennt: „Ich bin o.k. - Du bist o. k. realistisch“. Sie basiert auf der Fähigkeit, das Erwachsenen-Ich (Ratio) einzusetzen und mit Frustrationen wirklichkeitsgerecht umzugehen.

Aus einer solchen realitätsgerechten Einstellung heraus ergibt sich dann oft der sogenannte Dreiecks-Kontrakt, der zum Beispiel im Falle eines Führungstrainings so aussehen kann: „Firma (Auftraggeber) - Seminarteilnehmer - Trainer“.

Die Definition des zweiseitigen Vertrags „Trainer - Teilnehmer“ ist erst dann realistisch und transparent, wenn beide Parteien daran erinnert worden sind, dass sie auch einen Vertrag mit dem Auftraggeber oder dem Veranstalter haben. Diese Technik, die noch weiter differenziert werden kann (Vierecks- oder Fünfecks‑Verträge) soll verhindern, dass „Rabattmarken“ für unausgesprochene schlechte Gefühle gesammelt werden und unrealistische Erwartungen und Phantasien gepflegt werden.

Negative Streicheleinheiten sind kein Spiel-„Gewinn“

Eine klare Absage erteilt Fanita English der Deutung Eric Bernes vom Spielgewinn. Ihre Erfahrung zeigte ihr, dass der gesuchte Gewinn nicht aus der am Ende gekreuzten Transaktion gewonnen wird, wie Eric Berne dachte. Wer ein Spiel beginnt, ist in Wirklichkeit ein Ausbeuter, der mit Transaktionen andere indirekt erpresst. Ausbeuter wechseln ihre Ich-Zustände und durchkreuzen komplementäre (Parallel-)Transaktionen nur dann, wenn sie befürchten, dass ihr Partner kurz davor ist, ihnen weitere Streicheleinheiten zu versagen.

Fanita English stellt Bernes Theorie von den „Games People Play“ total in Frage, wenn sie erklärt, dass das, was Berne ein Spiel mit vorbestimmtem Ausgang genannt hat, in Wirklichkeit das Ende einer fehlgeschlagenen Ausbeutungs-Transaktion ist, in die meist Typ-1 - und Typ-2-Charaktere verstrickt sind, die aus Furcht vor dem Auftreten wirklicher, echter Gefühle Ersatzgefühle entwickelt haben. (Die Forschung über Ersatzgefühle , engl. „Rackets“, hat F. English berühmt gemacht)

Sleepy - Spunky - Survy, die Göttinnen des Antriebs

Einen pessimistischen Zug hat auch Bernes Script-Theorie. Fanita English hebt hervor, dass (Lebens-)Scripte viele positive Wahlmöglichkeiten enthalten und nicht starr und negativ den tatsächlichen Lebenslauf eines Menschen vorherbestimmen. Die Script-Analyse als therapeutisches Verfahren der Reflexion von Script-Botschaften greift ihrer Meinung nach zu kurz, als dass sie destruktive Verhaltensmuster verändern könnten.

Fanita English entwickelte eine eigene Theorie, die sie Existentielle Verhaltensmuster-Analyse (EVA) nennt. Die EVA geht davon aus, dass wir von drei Antrieben beeinflusst werden, deren Wirkungsweise sie mit dem Bild dreier rivalisierender Göttinnen erklärt, die zueinander mal freundschaftliche, mal feindliche Beziehungen unterhalten.

Sie nennt diese Antriebe die Schlafende (Sleepy), die Begeisterte (Spunky) und die Selbsterhaltende (Survy). Die Schlafende ist eine regressive Kraft, die Begeisterte unsere kreative Antriebskraft. Die Selbsterhaltende sorgt dafür, dass unser biologisches Überleben gesichert ist. Die Survy baut in die Persönlichkeit des Kindes all jene Verhaltensweisen ein, die zum Überleben nötig sind. Sie übernimmt die Aufgabe, die Trägheitstendenz der Schlafenden und die übertriebene Risikobereitschaft der Begeisterten auszugleichen. Sie bildet im heranwachsenden Kind das heraus, was Fanita English als Überlebensschlussfolgerungen (Early Survival Patterns) bezeichnet. Als Erwachsene denken und fühlen wir immer noch vor dem Hintergrund solcher Schlussfolgerungen; manchmal sind sie jedoch auch dysfunktional geworden und behindern uns zum Beispiel in der Form von Phobien, die ihrerseits erst dann aufgelöst werden können, wenn die dahinter stehenden Überlebensschlussfolgerungen ins Bewusstsein gehoben worden sind.

Sub-Persönlichkeiten oder ganzheitlicher Ansatz?

In ihrer therapeutischen Arbeit macht Fanita English deutlich, dass sie nicht mit dem Ansatz vieler Transaktions-Analytiker übereinstimmt, die den Menschen in drei oder mehr Subpersönlichkeiten aufteilen und diese dann getrennt voneinander analysieren und zu verändern suchen. Fanita Englishs enge Verbindung zur Gestalttherapie und deren gestaltpsychologischen Hintergründen lässt sie den Menschen als Ganzheit betrachten, die mehr ist als die Summe seiner Teile. Ihre Baumscheiben-Analogie zur Erklärung der Entstehung der Ich-Zustände (innen das Kindheits-Ich, dann das Eltern-Ich, im äußeren Ring das Erwachsenen-Ich) weist ebenfalls in diese Richtung.

Kurz gesagt: Fanita English hat der Transaktions-Analyse (eine neue) Gestalt gegeben.

Dieser Aufsatz erschien zuerst 1981 in Congress & seminar

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